In meinem Bücherregal bewahre ich eine rote Fotokiste mit mehr als 30 fast identisch aussehenden Fotos vom Züricher Flughafen auf. Von dort nämlich ging das Flugzeug, mit dem ich Europa zum ersten Mal allein verließ. Die trunkene Stimmung, in der ich ohne Zögern einen ganzen Film von ein und derselben tristen Szenerie verschoss – Jumbos, Flughafentower,
Follow me-Men, die auf regennasser Betonplatte ihrer Arbeit nachgehen -, verdankte ich der Aufregung ob der spontanen Reise in solch ein exotisches Land. Reiseziel war Madagaskar.
Geplant war ursprünglich ein Interrail-Trip mit Freundin Karen, der wegen einer Erkrankung in Karens Familie kurzfristig flach fiel. Und so saß ich frustriert auf den Holzstufen vorm Haus meines Onkels. Alle Freunde waren verreist, nur ich hockte hier im öden Heimatkaff. Da meinte Onkel H. ich könnte doch mal nach Madagaskar fahren. Dort hatte er jahrelang als Entwicklungshelfer gearbeitet und ein Waisenhaus aufgebaut.
Hm. Klang erst mal gut. Und als ich dann innerhalb von vier Tagen Flug und Visum bekam, was damals an ein Wunder grenzte, gab es kein Zurück mehr. Unfreiwilliger Sponsor war der Nazi-Opa. Er hatte mir im Frühling ein Sparkonto mit 5000 Mark geschenkt mit dem Hinweis, etwas Sinnvolles damit zu machen. Er dachte an Bausparvertrag oder Aktien, ich fand einen Trip nach Afrika as sinnvoll
as Bee can be.
Ich hatte keine Ahnung, was mich erwarten würde. Madagaskar, das klang nach Lemuren und Pfeffer, Pest und Seefahrern und sehr fremd. Was ich vorfand übertraf meine kühnsten Erwartungen. Im Landeanflug auf Antananarivo sah ich die rote Erde und wusste, das wird eine Liebe für immer. Nach ein paar Wochen rief ich meine Mutter an und teilte ihr mit, dass Abitur und andere Banalitäten jetzt uninteressant wären, ich würde in Diego Suarez bleiben. Natürlich blieb ich nicht.
Aber die Sehnsucht nach einem Blick über den Horizont ist seitdem ungestillt. Ich will mal wieder eine Welt sehen, die mich irritiert und sich meinen Vorstellungen widersetzt. Heute ist wieder einer dieser Tage. Mit einer Compilation des Herrn Jazz beschalle ich das Büro und wünsche mich dahin, wo der Pfeffer wächst.