23
Jan
2006

Your own private hell

Leute gucken ist mein Liebstes. An der Supermarktkasse, im Restaurant, in der S-Bahn. Dann spinne ich mir die schönsten Biographien zusammen und bin zufrieden, obwohl ich die echte Geschichte nie erfahren werde.
Aber manchmal, da würde ich zu gern hinter die Kulisse blicken. Berufskrankheit. Besonders dann, wenn ich öde Paare beobachte. Wie sie da sitzen, sich ansehen oder auch nicht, ihre Körpersprache. Und frage mich, wie die wohl so leben. Vielmehr, wie die´s wohl so treiben. Ob überhaupt. Und würde zuuuu gern in die Betten gucken. Manchen Leuten traue ich Begierde einfach nicht zu. Wenn die Bankkauffrau im hellblauen „Esprit“-Kapuzenjäckchen ihren Männe im braven Banker-Look zur Käsetheke jagt und ich im Einkaufswagen Spaghetti Miracoli, alkoholfreies Bier und Sagrotan Waschmittel erblicke, dann spinne ich richtig los. Stelle mir die beiden unsinnlichen Kontrollfreaks enthemmt bei versauten Spielchen vor. Leidenschaft und Toastbrot.

Und wenn ich dann hinter ihnen in der Schlange stehe und den funkenfreien Dialogen -Monologen- lausche, dann merke ich, dass hier nur Meine Phantasie glühend ist. Matte Langeweile. Sackgasse. Dann würde ich gern paradox intervenieren. Dem Musterpärchen auf die Schulter tippen. Ha! Sie fragen, ob das das Leben ist, von dem sie immer geträumt haben. Ob sie sich nicht tot fühlen. Und sie daran erinnern, dass da draußen so vieles wartet. Leidenschaftliche Menschen, verlockende Körper, Abenteuer und Abgründe.

Der Gedanke reift. Nächste Woche nehme ich die Kamera und geh zu Reichelt. Die Doku-Soap, die die Welt noch braucht.

Titel: „Suffering proudly in your own private hell.“

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https://spreepiratin.twoday.net/stories/1454503/modTrackback

Au-lait - 23. Jan, 16:14

Ich scharre mit den Fußnägeln. Habe auch heimlich ein paar Leute in der Berliner U-Bahn fotografiert über Silvester und plane ebenfalls, fiktive Biographien zu erspinnen. :)

brittbee - 24. Jan, 17:30

Ole, der Großmeister der ersponnenen Bio. Beim nächsten Berlin-Trip kommste mit zu Reichelt.
Au-lait - 24. Jan, 17:47

Ist gebongt! :)
Stil-Spionin - 23. Jan, 16:18

liebe spreepiratin,
leute gucken ist tatsächlich was feines. beim shopping, beim friseur und (ganz besonders schön!!) im büro.
sitze an einem schreibtisch mit blick auf den flur. man glaubt ja nicht, was man da tag für tag zu sehen bekommt.
und was man sich dazu alles zusammenreimen kann mit ein wenig phantasie...
wenn du also noch einen storyboard-schreiber fpr deine neue soap brauchst - bitte!

brittbee - 23. Jan, 16:29

"Andere machen KinderundoderKarriere, ich mach beschönigende Rückblenden."

Satz des Monats. Also, sollte es zu einer Telenovela kommen, schreibt der Ereignishorizont das Drehbuch. Ihm mangelt es nicht an Verve.
timanfaya - 23. Jan, 16:29

auch eines meiner lieblings-hobbies: beobachten. ich bin wahrscheinlich einer der wenigen, die GERN an einer kassse anstehen. allerdings kommen mir dabei meist andere gedanken. wenn ich die alle sehe, frage ich mich, wie die deutsche GV-quantität überhaupt zustande kommt. denn immerhin: auf ein paar, daß schoen seit jahren offensichtlich garkeinen sex mehr hat, "kommt" ja schließlich auch ein anderes. nur: wo sind die alle?

viel übler finde ich allerdings die cafe und restaurant beobachtungen. da kommen doch immer wieder paare rein, die in zwei stunden anderthalb sätze wechseln. für mich unfaßbar so ein leben.

p.s.: einen vorurteil gedanken habe ich allerdings doch öfter. das beschriebene sagrotan-käse-pärchen und konsorten hat zu hause in der regel aufgeplüschte tüddelvorhänge und besucht aufgrund interner langeweile ästethisch wertvolle swingerclubs in denen - umgeben von gediegener atmosphäre - bereits auf der homepage das "buffet" digital festgehalten ist ... *würg*

Sachsenpaule - 23. Jan, 16:44

so ist es

Wir scheinen das gleiche Hobby zu haben :)

Das Spaghetti Miracoli, die eckelhaft fruchtige Version. Ohne Würze. Solche Leute würzen nicht, ihnen fehlt der "pep".
Hinzu kommt oft der krankhafte Sauberkeitstrieb, da wird desinfiziert, gewischt etc, die Krönung des ganzen hörte
ich vor Weihnachten im Radio: "Wir machen die Gans immer auf dem Balkon, dann stinkt die Wohnung nicht so".
Diese Leute -duschen- sich nach dem DIN-quicky.
Alles ist so schön steril.
Wie wahr.
timanfaya - 23. Jan, 16:46

yo! ist ja auch 'ne widerliche sache, wenn die wohnung nach leckerem essen riecht. die haben übrigens auch immer das wohnzimmer gefliest. und nur die intervention der kreditgebenden bank konnte verhindern, daß es raumhoch ausgeführt wurde. wäre aber "praktisch" gewesen ...
Sachsenpaule - 23. Jan, 18:29

Naja

Modularer Aufbau halt, wie beim Programmieren :)
brittbee - 24. Jan, 16:59

@timan
gefliestes Wohnzimmer ließe rein theoretisch viel perversere Schweinereien zu... Ich merke schon, das Thema erhitzt Dich sehr. Daß man das Buffet vorab betrachten kann, das macht doch Sinn. Da weiß man, was man für sein geld bekommt und ob der Laden auch schön sauber ist :-)
timanfaya - 24. Jan, 17:02

was mich an all den offenen fragen um schweinereien am meisten "erhitzt": ich kann von meinem balkon einen anderen sehen, der allen ernstes komplett gefliest ist [ich vermute einfach mal inkl. decke] ... aber es kann doch nicht jeder in diesem land metzger sein?!
brittbee - 24. Jan, 17:06

Kamera draufhalten! Ich brauche mehr Details.... Vielleichtr plant er auch, seine Alte zu zerlegen oder so.
Kirschrot - 23. Jan, 16:51

Bitte ja. Reichelt ist gut. Am allerwahnsinnigsten finde ich allerdings die Pärchen, die sich stundenlang in Restaurants schweigend gegenüber sitzen. Da kann ich dann manchmal nicht umhin, die Stille am Nachbartisch zu vertonen.

saoirse - 24. Jan, 18:07

stille vertonen finde ich sehr gut! ein beispielhaftes oxymoron.
brittbee - 24. Jan, 18:10

Und das von Kirschrot, die ja zu meinem unermesslichen Bedauern leider seit einer Weile auch schweigt.
saoirse - 24. Jan, 18:15

ja, mit diesem bedauern bist du nicht allein, meine liebe. aber zum glück kommentiert sie ja noch!
schroeder - 23. Jan, 17:17

Das Spiel lässt sich auch herrlich umdrehen. Was denken wohl die anderen, was wir für ein Paar sind... jetzt nicht auf die verkrampfte. Mehr so in die Köpfe der Leute schauen, sich reflektieren vor den vermeintlichen Einstellungen anderer. Sagrotan-Wäscher zB... oder was denkt die Britt nun, wo ich zur Miracoli Packung gegriffen habe *hrhr*

brittbee - 24. Jan, 17:05

Schroedi, das mache ich auch manchmal. Es ist ja auch gut, dass die Vorlieben, egal auf welchem Gebiet, einem nicht auf der Stirn prangen. Ich sage schließlich immer, daß es ncihts besseres gibt, als unterschätzt zu werden. Und sicher irrt man oft, wie bittersweet choc schon meint. Sicher tarnen die ganz perversen Abgründe sich häufig in biederem Gewand. Ich erinnere mich nur an das Opfer des "Kannibalen von Rotenburg". Spießiger ging´s kaum. Aber hinter der Fassade des Biedermann Gelüste, die sich meiner Vorstellungskraft entziehen. Aber meist, bilde ich mir ein, trügt die Intuition mich nicht.
saintphalle - 23. Jan, 19:56

Wunderbar. Schauen und beschaut werden. Wobei ich mich nicht gerne beschauen lasse, sondern lieber im Verborgenen bleibe. Aber ich spinne auch immer ganze Romane in meinem Kopf zusammen, wenn ich mir manche Leute so ansehe.
Was das Sexualleben der cleanen Pärchen angeht - ich schätze, das ist genauso tot wie diese Leute aussehen. Und Brittbee, ja, ich fürchte, viele Leute wollen nichts anderes als so ein totes Leben. Denn alles andere ist viel zu gefährlich, lässt einen zu leicht Gefahr laufen, dass man mal von der Spur abkommt oder ganz aus der Bahn kippt.
Ich glaube übrigens, dass das Liebesleben in ziemlich vielen Beziehungen eher trostlos aussieht. Vielen Leuten sieht man das (zum Glück?) nur nicht an.

Sachsenpaule - 23. Jan, 20:52

wollen es nicht anders?

"Wenn ihr euch hier draussen bewegt, müsst ihr damit rechnen euch einige Blutige Nase zu holen. Wenn ihr das nicht könnt dann bleibt zuhause"
Q in eine Star Trek NG Folge.

Der Satz passt. Das -Zurück-ziehen ins Schneckenhaus ist immer das einfachste und leichteste.
Andere Sachen bringen Gefahr. Sie tun das und werden das tun was sie immer getan haben und werden das gleiche dafür bekommen.
"Das macht man doch nicht" sagen sie dann.
brittbee - 24. Jan, 17:08

@saintphalle
Meinst Du wirklich? Ich muß bei dem Dokumentarfilm "Havanna mi amor" immer grinsen, wenn ein gewisses Paar interviewt wird. Die haben nichts, wirklich nichts. Außer einander.
Darauf sollten sich die Menschen im krisengeschüttelten Deutschland vielleicht besinnen; die besten Dinge im Leben sind umsonst. Nein: kostenlos.
Booldog - 23. Jan, 21:22

Paradoxe Intervention, großartig! (Obwohl: wäre das nicht die Aufforderung: "Versuche, noch öder und trostloser zu leben!"?!)
Aber Obacht! Am Ende will ich Dich noch als meinen privaten "drill instructor" anheuern! (Bräuchte ich nämlich. Gerade im Januar.)

brittbee - 24. Jan, 17:09

@booldog, vorsicht mit solchen Angeboten. Sonst caste ich Dich für den Piloten und Du bekommst Deine 15 Minuten Ruhm von mir :-)
Booldog - 24. Jan, 17:23

Das ist doch ein fairer Deal! ;-)
(Wo war doch noch gleich meine ballonseidene Hello Kotti-Streetwear?)
sureshot (Gast) - 24. Jan, 17:36

@ Booldog: Bitte anziehen und filmen lassen. :o)
bittersweet choc - 23. Jan, 22:14

britt, lass dich nicht von der harmlosigkeit der sagrotanis täuschen. das waren seinerzeit genau die, die sich in den "hautnah"-boutiquen in die lacklederschlüpfer zwängten und heimlich sitll und leise die peitsche schwingen.

du solltest mit mir mal in die sexworlds gehen und ne weile zusehen, wer sich die grössten d*ldos kauft. du wirst staunen! also: nimm die kamera nicht mit zu reichelt, sondern ab damit in world of sex oder so ähnlich!

brittbee - 24. Jan, 17:18

bsc, ich unterscheide in meinen Beobachtungen die Klemmis, denen man Abgründe zutraut von den Miracolis.
Erstere trifft man in jenen Shops an und traut ihnen eigentlich alles zu.

Unlängst war ich in einem einschlägigen Store auf der Reeperbahn und habe sowohl Publikum als auch Angebot ausgiebig beäugt. Ich muss sagen: keine Überraschungen. Vor der widerlichsten Latxmaske stand ein Doppelgänger meines noch widerlicheren Chemielehrers Herr Dr. N. So´n Buchhaltertüp

P.S. In diesen Läden sind Kameras leider nicht erlaubt :-(
glam (Gast) - 24. Jan, 00:39

oh dear - yes!
leute, die "vögeln" sagen, weil sie ficken nicht können. hellblaue kapuzen.

brittbee - 24. Jan, 17:19

Glam versteht mich.
mai - 24. Jan, 10:14

sie hat einen geliebten aus dem büro der sie zu swingerparty mit buffet und allem drum und dran oder so, einlädt..... und er trifft sich mit einer rotgefärbten und schon halb ausgewaschenen miniplis sklavin aus den chat. schnallt sich seine ledergurte um bindet sie zusammen wie eine weihnachtsgans die eben nicht in der küche prutzelt, mit dem wäscheseil ans bett....

brittbee - 24. Jan, 17:20

Und Mai denkt mal wieder positiv. Würde mich freuen, wenn´s so wäre.
littleandy (Gast) - 24. Jan, 11:12

In der Tat, manchen traut man es wirklich nicht zu. Umso überraschender dann vielleicht das Bettgeschehen? Und umgekehrt: wie oft passiert bei den offensichtlichen Sexbomben nichts mehr?

brittbee - 24. Jan, 17:21

Sogenannte "Maulhuren"? Hm. Muß ich mehr beobachten.
L-9 - 24. Jan, 12:16

Ein wirklich schönes Spiel.

Herr Paulsen hat es noch um Einkaufswageninhalte erweitert.

Bei Familie Neun ist es ja eher profan.

brittbee - 24. Jan, 17:23

Wie Herr Paulsen mach ich´s auch. Sagt ja so viel aus. Simpelstes Beispiel: Sozialhilfeadel in der 5. Generation. Immer im Korb: Bier, Kippen, Hundefutter. Nie: Obst, Milch, Milchschnitte, obwohl die kids betteln.

Familie Neun ist nicht profan, sondern schmerzfrei:-) Saunagänge reichen mir. Tolles Bild. Wie immer, Lisa.
sureshot (Gast) - 24. Jan, 13:37

"Love is Hell", was man sicherlich auch allgemein als "Live is Hell" anwenden kann - aber trotzdem. Genau die anderen/abstrusen/manchmal vielleicht verletzenden Situationen, die das Leben (hoffentlich) zu bieten hat, dafür leben wir doch.
Schön auch der Spruch eines Kollegen: "Life is shitty, and then you die.". Wenn "shitty" nicht langweilig ist, dann immer her mit der Sch****. :o)

PS: Das kleine Bilderrätsel unter dem Kommentarfeld nervt, manchmal kann selbst mein ägyptischer Hauslehrer die Hieroglyphen nicht erkennen. ;o)

brittbee - 24. Jan, 17:26

Hach, surey, sollte ich herausfinden, wie man´s ausstellt, mache ichs. Nur für Dich.
Das Fiese am Leben ist doch, dass man selbst verantwortlich dafür ist, dass man glücklich wird. Ich wäre dankbar für jeden Masterplan. Aber seine Chancen zu verspielen, dafür habe ich kein Verständnis.
sureshot (Gast) - 24. Jan, 17:33

Inzwischen hat der dumme "surey" herausgefunden, dass das Klicken auf den Link "Neues Bild" die Chancen auf Erkennung desselben ungemein erhöhen kann. Nicht immer, aber irgendwann klappt's. Insofern, nur keine Klimmzüge.

> Das Fiese am Leben...

Motto: "Man bereut nur die Dinge, die man nicht getan hat." ???
verisimilitude - 24. Jan, 15:05

meine süße und ich machen seit jahren ein foto des tages. gucke den leuten da auch immer sehr genau auf die nase und wo sie sonst noch interessant daherkommen. bringe aber viel zu seltsn den mut auf, leute, die im gesicht eine geschichte vermuten lassen, mal zu fragen ob ich sie fotografieren kann. heimliche schüsse sind nur selten was...

brittbee - 24. Jan, 17:29

Das ist aber schön. Noch schöner wäre es, wenn man eine Geschichte ausspinnen würde und dann den Hauptdarsteller nach der wahren Geschichte fragt.

Der BR produziert seit Jahren ein wunderbares Lokalprogramm, "Gernstl unterwegs". Da fährt Herr Gernstl quer durch Bayern, schaut am Wegesrand nach skurillen Typen und guckt ihnen ins Leben. Nichts, wirklich nichts ist spannender.
Mehr Mut! Frag sie. Dann haste immer Blogfutter:-)
Michael (Gast) - 24. Jan, 21:51

Nachdem ich heute in der Arbeit, also in der Mittagspause natürlich, diesen Beitrag gelesen habe, bin ich nach der Arbeit in einen Downtown Edeka mit besonders erlesenem Publikum gestolpert. Jedenfalls kam mir das Publikum so vor. Nur andersrum, nein, so auch nicht ihr wisst schon. Das Grau kann man fast greifen meine ich und die Ödnis. Auch paarweise. Stimmt schon was Du schreibst. War lange schon ZEit mal wieder drüber nachzudenken. Zum Ausgleich habe ich mir anschliessend die aufgebrezelten Muttis in der Parfümerie, nee ich habe mir ein leckeres Steak gebraten, die Glotze weiter standhaft ignoriert und mein rechtes Ohr wundtelefoniert.

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