4
Jul
2005

Endzeit-Porno oder Ode an eine Spelunke

61Berlin ist eine Bühne. Und wenn RioPanoramabarKinzoSpindlerKlatt
BambiLoungeCoffyFelixWatergateNBI blablabla der Broadway sind, dann ist das "Kumpelnest 3000" off-Broadway, wie´s offer nicht geht.

Seit bald vierzig Jahren nun gibt es diese kleine Schmuddel-Klitsche mit Mini-Dancefloor und sie ist wahrlich kein Geheimtipp mehr. Aber ein altes Original des Berliner Nachtlebens, das seinesgleichen sucht.

Wenn die Legende stimmt, dann wurde das Kumpelnest als Puff eröffnet. Und böse Zungen behaupten, seitdem wurde weder geputzt noch renoviert. Auf dem Klo kann man sich eventuell die Pest holen, aber wen stört’ s? Gold findet man bekanntlich im Dreck.Wer lange nicht mehr dort war, dem sei gesagt: Es hat sich nichts verändert. Wer noch nie dort war: Hingehen und probieren. Hassen oder lieben. Mein erster Besuch, etwa 1993, hat den Laden geradewegs in mein Herz katapultiert. Seitdem versuche ich, nach jeder guten Nacht auf wenigstens einen Drink hier aufzuschlagen. Vor drei Uhr braucht man dort gar nicht aufzutauchen.

Eine Nacht im Kumpelnest ist die Orgie des schlechten Geschmacks: die plüschig-schmuddelige 60er Jahre-Deko ist nicht gewollt, sondern echt. Das Interieur des ehemaligen Bordells blieb einfach, wie es war. Erotik-Kitsch, orange-türkiser Teppich an den Wänden, Teletubbie-Sitzbezüge. Backstein-Fototapete und illuminierte Elvis-Bilder lassen auf fröhliche Weise jedes Konzept missen. Der Dancefloor ist so groß wie mein Badezimmer und die Musik wird niemals irgendwo schlechter sein. Nancy Sinatra in drangvoller Enge Die Qualität der Musik verwundert einen nicht weiter, wenn man weiß, dass viele der Barkeeper gehörlos sind. Da es ohnehin immer Hörsturzlaut ist wohl eher ein Vorteil, denn die Bestellung mit Mimik und Gestik klappt besser als irgendwo sonst.

Der Star ist das Publikum: eine schillernde Mischung aus Prinzen und Prinzessinnen auf der Suche nach einem Restefick einer sexuellen Zweckgemeinschaft, Homo+ Hetero, verzweifelte Gestalten, Möchtegern-Starlets, „Tagesspiegel“-Redakteuren, baggernde Araber, hippem Szenevolk, Taschendiebe und viele Transen, hübsch und hässlich. Mal in gutem Mischverhältnis, mal unerträglich. Wer allein kommt, muss es nicht bleiben. Manchmal verirren sich trunkene Menschen in Ballrobe und auch mal Karl Lagerfeld dorthin. Aber immer ist das Publikum sagenhaft uncool. Dresscode? Die Erfahrung lehrt: Dunkel und abwaschbar, falls man einen Drink abbekommt. Getränkepreise? Irgendwo in den 80er Jahren hängen geblieben.

Zu vorgerückter Stunde gibt es auf dem Fensterbrett oder der als Tisch umfunktionierten Kabeltrommel Tanzauftritte, gern oben ohne. Von mir nicht, Gott bewahre! Aber meine männlichen Freunde konnten es auch diesen Samstag nicht lassen. Na gut, ich habe die High Heels auf die Wandverkleidung gestellt und auf der Sofalehne getanzt, fragwürdig genug. Manchmal performt auch die eine oder andere Königin der Nacht, egal ob mit X- oder Y-Chromos versehen, einen bekleidungsarmen Schlangentanz auf der Bar. Ich denk mir dann immer, dass Drogen und Alkohol keine guten Partner sind. Wenn dann irgendwann die Frauen alle sind und selbst der orange Polyacryl- Vorhang die Mittagssonne nicht mehr abhält, wird es Zeit zu gehen.

Und wenn ich beim Verlassen in Lady Di´s Konterfei blickt, welches als festgenagelter Polyester-Teppich die Tür schmückt, dann war der Abend alles außer langweilig und ich habe häufig seltsame neue Freunde. Der Laden erstaunt mich immer wieder. Daher die Liebe. Wer das ganz harte Programm braucht, geht noch ins „Ex und Pop“. Die Jungs und ich steigen lieber ins Taxi, fahren noch zum Araber bei mir ums Eck und gönnen uns Fruchtshakes. Oder, wie zu diesen Sonntagsfrühstück, Cheeseburger, weil Niels welche will.

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glamourdick - 4. Jul, 17:29

eine wahre geschichte, wie sie nur im kumpelnest (oder auch im roses) passieren kann. anfang der 90er arbeitete ich (nicht horizontal sondern gastronomisch) auf der potse. trinkgelder wurden allabendlich im kumpelnest auf den kopp gehauen. zu dieser zeit gab es eine stadtweit bekannte junkie-braut namens sunshine. sie sah aus wie der 7. apokalyptische reiter: dürr, zahnlos, fiese fettige dünne haare, beine so dünn wie hühnerknochen. alle hatten angst vor ihr, denn sunshine schlug gerne mal um sich.
eines nachts sitze ich im kumpelnest auf einem ranzigen fauteuil und höre ein berserkerndes geräusch hinter mir. sunshine in action. kurze zeit später klirrt etwas - sunshine hat ihre klappernden knochen neben mir drapiert. schweiß bildet sich auf meiner stirn, als sie ihr glas nimmt (es riecht nach southern comfort - süßlicher leichenduft, vielleicht is es auch sie) und sie mich anspricht:
"weißßsstt du, was dasss probläm is?"
ich schüttele den kopf, angstvoll.
"dassssßs problem is, für dieee -" sie schwenkt mit dem glas. beruhigung es ist southern comfort. "für die ist die welt ein bonbon. und für mich is die welt --- ein licköööör"

brittbee - 5. Jul, 09:37

Sunshine! Klar, kenne ich auch noch, hatte ich aber zeitweilig verdrängt. Die ist aber sicher schön ne Weile Wurmfraß, oder? Oder konserviert in Alkohol. Das "Roses" liebe ich natürlich auch, wobei es schöner udn geschmackvoller als das KN ist, was keine Kunst ist. "Gastronomisch auf der Potse" klingt schon brutal genug, da würde ich in der Victoriabar only arbeiten.
Au-lait - 4. Jul, 20:37

Ähnliches gibt's in Münster in der Luna Bar, die allerdings bei alldem durchaus geschmackssicher geblieben ist und ein fluffiger Indie-Club geworden ist mit orangeglimmendem Glühbirnenherz an komplett rotgetünchten Wänden. Dunkel, schwummerig, nett. Das "Moulin Rouge" hat seinen Puffstatus nun auch an den Büstenhalter gehängt und tritt dagegen das Gegenbeispiel an. Überdreht, sauteuer, langweilig, fad. Lohnt das Puffmetier heutzutage nicht mehr?

brittbee - 5. Jul, 09:41

Au-Lait, das erzählst Du mir jetzt? Ich musste mal eine lange Weile gelangweilt in Buldern weilen. Da hätte ich die Luna Bar dringend gebraucht.

Die Prostituierte, die ich beim Live Aid kennenlernte, klagte nicht über Flaute, aber eine ist nicht besonders repräsentativ.
Au-lait - 5. Jul, 10:50

Buldern? Ohauerha! Sythen, Appelhülsen... der Haardt-Express erreicht sie alle, die spannenden Metropolen zwischen Münster und Pott.
brittbee - 5. Jul, 11:17

Ich kam nicht so oft weg wie ich wollte. Denn ich wollte immer weg.
spurlos - 4. Jul, 21:14

Flashback... Vor guten zwanzig Jahren, damals absolut frisch in Berlin, der erste frühe Morgen im Kumpelnest (damals noch "2000"). Konnte mich gar nicht genug wundern, dass mich dort eine wildfremde Frau ohne Vorwarnung auf den Hintern schlug und mich dann sehr sexy ansah. So ging das also ;-)

bittersweet choc - 4. Jul, 23:25

oh mein god, glam - sunshine! dieses junkiewesen hat mich mal in irgeneiner bar in der oranienstrasse angegriffen. keine ahnung warum, vielleicht war ich ihr zu schrill blondiert und sah zu gesunde aus. kann mich nicht mehr erinnern, ob du dabei warst. musst du aber.

die voellig verpekten (schreibt man das so?), nicht geputzten klos sind wahrzeichen berliner spelunken, so auch im "roses". bloss nicht an den tuerklinken kleben bleiben. fuer die klobrillen zwingend skifahrertechnik anwenden. du meine guete, bin ich zur hamburgischen ische geworden.

dieses ex und pop jibts ooch noch? da war ick nie. weiss nur, dass ben becker da immer rumschlich.

brittbee - 5. Jul, 09:46

Früher haben die Mädels immer den Hof vom Kumpelnest zur Toilette umfunktioniert. Da ist aber neuerdings eine Alarmanlage. Das größere Problem mit den Klos in den Spelunken ist doch eigentlich, dass manche Leute sich dort ewig lange einschließen um zu vögeln oder zu ziehen und dann ist die Verzweiflung groß.

Ben Becker geht da nur zum Kickern hin ;-)
spurlos - 5. Jul, 00:36

Ex&Pop: Jetzt Potse, da wo früher das K.O.B. war. Sonnenschein? Nur wenn jemand zu früh die Tür aufmacht...

brittbee - 5. Jul, 09:47

Das K.O.B war aber janz schön früher...das det noch wer weiß? Du bist aber auch nicht mehr 20, hm?
spurlos - 5. Jul, 22:58

nee zwanzig nun nich mehr. aber ich habe den eindruck, mein leben spielt sich in spiralen ab: ich komme immer wieder an den selben orten vorbei, jedesmal mit einem neuen blickwinkel.
burnston - 5. Jul, 09:32

ach je, habs immer noch nicht geschafft. bin aber auch nicht der oktroyierte endzeit fan. die endzeit bereite ich mir meist selbst irgendwann ganz aus versehen mit dem berühmten drink zuviel. und was endzeit baggering betrifft: das hat man mir schon von so vielen kneipen und clubs berichtet und ich bin garantiert immer der einzige, der das nicht so empfunden hat. aber wenns alle sagen. gertis schoppenstüberl in münchen bietet übrigens auch genug endzeit stimmung für die nacht nach der nacht, was aber mehr an gertis 3groschenoper-akkordeonist und ihrem morbiden bayerischen charme liegt. dennoch einen besuch wert, nicht wahr, d.? heut bin ich langweilig und contra entertainment. ätsch.

brittbee - 5. Jul, 09:56

Graf von Burnstein, wo ist der Laden? In München ist mir ab einer gewissen Uhrzeit immer langweilig. Akkordeon klingt groß.

Für mich sind die frühen Stunden ein wichtiger Teil des Abends. Fade out sozusagen. Ich habe diese Alkohol-Bremse mein Pegel ist immer nur hoch genug, nie zu hoch. Endzeit-Baggering ist meins auch nicht, aber ich beobachte es gern und staune, wie wahllos mancher ist. Ich bin heute so verkatert, dass allein der Gedanke an Musik meinen Kopf zum platzen bringt. Auch nichts mit Entertainment.
mcwinkel - 5. Jul, 15:16

Geil, sie waren mit Niels Ruf unterwegs!?

Ich mag solche Schuppen. Das erwähnte Publikum vielleicht auch; gibt es in Kiel leider nicht, daher weiss ich es nicht genau. Aber bestimmt mag ich das. Mit meinem schlimmen Knie sollte ich lieber nicht auf Lehnen tanzen, sollte es aber am 30.07. noch ins Kumpelnest 3Mille gehen, werde ich wohl üder übel auf die Kabeltrommel müssen. Nützt ja nichts.

brittbee - 5. Jul, 17:27

MC, Niels ist der Typ ganz links auf Jackie-Brown-pic, um genau zu sein. Ihr reist einen Tag frühe ran und wir gehen mit dem Burnster am Freitag ins Kumpelnest. der war dort auch noch nie und Freitag ist es dort am Schlimmsten.
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