"…und dann stehe ich um 18 Uhr unten und Ihr holt mich ab, ok?" resümiere ich Freundin Lisa abschließend in den Hörer entgegen.
"Warte, ich muss mir nur kurz aufschreiben"…*murmel murmel* "...Axel anrufen, Louis einladen…" *kritzel kritzel*
"Sag mal, was schreibst Du auf?" frage ich, nichts Gutes ahnend.
"Na, wen ich fürs Wochenende noch einladen muss" gibt Lisa ohne Scham zu. "Der Louis und Du, Ihr habt Euch doch auf meiner Party so nett…und Axel ist auch wieder solo."

???

Ursprünglicher Plan war folgender. Freundin Lisa und ich samt ihrer Gören verbringen ein nettes halbes Wochenende in ihrem Häuschen am See unweit von Berlin. Einfach ausspannen, paddeln, Tee trinken.
Alles (und alle) hinter sich lassen.

"Wieso Axel, wieso Louis?" frage ich."Ich denke, nur wir und die Mädels?"
"Ach, Du warst in letzter Zeit so geknickt, und da dachte ich, ähm, Louis ist doch Kameramann, das passt doch, und der hat so ein nettes Haus geerbt…und Du bist total sein Typ…"
"Der hat doch diese griechische Freundin…und überhaupt…ich will keinen Mann!" entgegne ich, langsam nicht mehr amüsiert. "Ich habe genug Ärger am Hals"

Gleicher Tag, anderer Ort.

Freund E., die Tunte: "…und mein Cousin Karsten, den kennst Du doch, ähm, ist es ein Problem, wenn ich den heute Abend mitbringe?"
"Nein, natürlich nicht" sage ich arglos. "Wieso, ist der zu Besuch in Berlin?"
"Nein, er ist doch jetzt Berliner (als ob das so schnell ginge) und hat diesen tollen Job bei Firma x&Y. Der rennt die Karriereleiter nur so rauf! Also, der ist doch ganz schnucki und Familienorientiert ist er auch… und Du stehst doch auf depressive Problemfälle…"

Was nicht ganz falsch ist. Aber meine Problemfälle suche ich mir gern selbst aus.
Da bin ich mal - ausnahmsweise- 3 Monate Single und schon neidet das liierte Umfeld mir mein Lotterleben. Nicht, dass ich keine Männer träfe. Aber diese Exemplare haben in den Augen meiner Freunde gewisse Haken. Zwei davon wohnen nicht in Berlin (disqualifiziert, ich könnte ja wegziehen) und beim Dritten hegt mein Freundeskreis Sorge, dass es wieder ein solches Psycho-Drama wird wie mit dem Schallplattenwerfer. Nicht ganz zu Unrecht, wie ich ahne.

Trotzdem. Ich bin nicht familienorientiert, will keine Villa im Westend und mir ist auch wurscht, ob seine Depression zu meiner Manie passt.

Gestern Abend beim Doku-zappen habe ich ihn dann selbst gefunden: Den Mann fürs Leben. Goldblond gelockt, ausgeglichen, nachdenklich, humorvoll, kann kochen, ist muskulös von Arbeiten (!) und Besitzer von 3500 Schafen. In einem Kaff in Neuseeland. Auf Freierfüßen.

Der kriegt Post.

R. wollte nach der Oper noch ausgehen und war beleidigt, weil ich nicht wollte sondern in die S-Bahn hopste. Soll er doch.

Ich bin einfach sitzen geblieben und fünf Stationen zu weit gefahren.
Wie in vielen Nächten. Bisher. Bald wird es keinen Grund mehr geben, hierher zu kommen.

Die Schlüssel habe ich noch, wer soll sie auch wollen. Deine eiskalten Eltern?
In der Wohnung ist alles, als wärst Du nur für ein Wochenende weg. Die aufgeschlagene Zeit liegt vor dem Sofa, neben der Gitarre ein Päckchen neuer Saiten. Der AB blinkt hysterisch. Dein sonniges Chaos.
Ich will weg und auch nicht.

Am Schreibtisch hängt ein Foto von mir. Du hast es vor 3-4 Jahren gemacht, auf einer Reise nach Rom. Ich hebe den roten Rock und pinkle an eine Säule der Piazza San Pietro.
Nachts, dem Papst in den Vorgarten sozusagen.
Das hat Dir gefallen. Es war ein guter Moment, intim und trunken, fröhlich und ungezogen.

Aber ich sehe auch die Bilder einer anderen Reise vor mir. Du in Johns Prager Wohnung, paranoid und blutverschmiert, mit aufgeschlitzten Armen. Ich hatte solche Angst. Nicht weil überall Blut war. Sondern weil Du Lichtjahre entfernt warst und nichts was ich sagte Dich erreichen konnte.

Morgen ist diese verdammte Beerdigung. Ich will da nicht hin.
Ich will mit Dir irgendwo anders hin reisen.

Ich habe es getan. Trotz Frau Schnatterlieses Appell an die Frauenwelt. Sie sind ab, die alten Zöpfe. 30 cm schnipp schnapp. Gut, immer noch nicht kurz. Immer noch weit über Schulterlänge. Aber kürzer.

Erstarrte Blicke der Kollegen irritieren mich nicht. Denn mir steht der Sinn nach Veränderungen. Ich will mich häuten und die pergamentenen Bilder meines gestrigen Leben zurücklassen. Erster Schritt.


Nachtrag:
Noch ein lustiges Microsoft-Späßchen zum Nachmittag ....
Öffne ein neues Word-Dokument und schreib Folgendes hinein:
= rand (200,99)
Dann "enter" drücken und 3 Sekunden warten.
Das Resultat kann auch von Microsoft nicht erklärt werden.

Mick Rock hat Ikonen erschaffen.

Der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Im sich neu erfindenden London der frühen Siebziger Jahre trifft Mick auf den noch unbekannten David Bowie. Es ist der Beginn einer fruchtbaren Beziehung.
Mick wird Davids Freund und Hof-Fotograf, denn dieser findet„…dass er mich so sieht, wie ich mich sehe.“
Er realisiert das geile Musikvideo zu Bowies „Space Oddity“, 1972 entsteht das berühmte Spiegelbild-Foto.

David Bowie nimmt ihn mit auf die "Ziggy-Stardust"-Tour. In Andy Warhols Factory trifft Mick auf Iggy Pop, Lou Reed, Mick Jagger, Blondie und Nico.
Und immer ist die Kamera dabei.

Jetzt hat Mick Rock den Bildband „Blood & Glitter" mit 300 Fotos teils unbekannten Bildern veröffentlicht. Aus diesem Anlass sind viele seiner Arbeiten bis zum 30. April im Berliner Kulturkaufhaus Dussmann zu sehen (Friedrichstraße 90, 10117 Berlin, Tägl. 10-22 Uhr).
Für umme, Leute, hin da!

Die wunderbar schrägen Standfotos zu „Rocky Horror Picture Show“ sind ihm übrigens auch zu verdanken.
Seine neueren Arbeiten mit "The Chemical Brothers" finde ich beachtenswert.
Und von seinen „Psychadelic Renegades“ will ich gar nicht erst anfangen…

Eine liebe Freundin hat mir heute ein Photo-Print des Bildhauers Marco Piono geschenkt. Ich bin verzaubert.