Neue Bücher und alte Briefe weggeworfen.
Ein Brot gebacken.
Die Wohnung geputzt.
Einen dreißigjährigen Krieg beendet.

Ich fühle mich so aufgeräumt.

Nichts Böses ahnend kuschele ich mich in den Sessel und genieße die Wärme des Kaminfeuers, da kommt aus heiterem Himmel der Schlag mit der Keule….

„Ich getraue mir kaum, es auszusprechen.... wenn Du lachst hast Du eine gewisse Ähnlichkeit mit Nadine“ . Ich bin noch nie so beleidigt worden. Und das von meiner eigenen Mutter!

Nadine. Dat Nadinsche. Die ätzende Cousine aus’ m Pott. Ich fand sie mit 7 scheiße. Ich find sie immer noch scheiße. Als wir klein waren mussten meine Schwester und ich sie in ihrem bekloppten Funkenmariechen-Kostüm bewundern. Oma Lilly, die alte Hexe, war entzückt. „Zeig mal Deine Beine, Schatz…Ach, unser Nadinsche!“. Da konnten wir natürlich nicht mithalten. Das wir es ums Verrecken nicht wollte versteht sich von allein.

Und später dann, "Nadinsche" blöd wie Toastbrot und solariumsverbrannt im Ibiza-Look, da konnte ich noch weniger mit ihr anfangen. Sie lebte in meinen Augen auf einem anderen Planeten, und keinem schöneren. Eigentlich würde ich sie schlicht ignorieren, wenn da nicht dieser Anruf meines Bruders und meiner Mutter vor etwa zwei Jahren gewesen wäre….

„Mach den Fernseher an! RTL!“ schreit Brüderchen in den Hörer und kriegt sich vor Lachen nicht mehr ein. Ich folge und was läuft im Zentralorgan der Deutschen? Eine dieser Hirnerweichenden Gerichts-Shows.

„Und? Und? Siehst Du sie?“.
„Nöö, was denn?“
„Schau genau hin!“ brüllt meine Mutter aus dem Hintergrund. Und ich seh´s immer noch nichts. „Halt, da! Die Olle mit den schwarzen Haaren hat den gleichen Nachnamen wie wir…“
„Dat is dat Nadinsche!“ schreit meine Mutter, Oma Lilly imitierend, in den Hörer.

In der Tat. Unsere prollige Cousine als Anwältin. Ich habe mich immer gefragt, wer ich für so etwas hergibt. Jetzt weiß ich´s. Nadinsche. Ha ha. Sitzt da und gähnt. Hält dümmlich grinsend ihr immer noch knusperschwarz gebranntes Gesicht in die Kamera und tut so, als würde sie ein „Plädoyer“ für eine „Mandantin“ halten, die „versehentlich“ den Kopf ihrer Oma in den Gasherd gesteckt hat bis diese "plötzlich" tot war.

Gut, jetzt könnte die Olle weiter mit unserem Familiennamen geschmückt peinliche Auftritte in diesen drittklassigen Shows ihr Geld verdienen. Es würde mich nicht weiter stören. Aber vor ein paar Wochen rief mein bester, ältester Freund an und fragte „Bist Du mit Nadine XY verwandt? Ich habe eine dieser Gerichtsshows gesehen und dachte, die sieht der Bee verdammt ähnlich und trägt auch noch den gleichen Familiennamen…." na Danke.

Und jetzt auch noch meine Mutter…

Einzig mein Bruder, mein süßer, lieber Bruder rettet mich „Wie alt iss`n die?" fragt er, der sie nicht persönlich kennt. „Wir sind im gleichen Jahr geboren“ antworte ich fassungslos ob der Peinlichkeit ihrer Auftritte. „Was? Die sieht doch 10 Jahre älter aus als Du!" kommt da von ihm, der für seine Ehrlichkeit bekannt ist. Er hat dann noch mal im Internet recherchiert. "Auf Ihrer Fansite (!!!) steht, daß sie 9 Sprachen spricht. Was denn? "una birra per favore?" Die Dumpfnuss doch nicht..." An manchen Tagen liebe ich Brüderchen noch mehr als ohnehin schon.

Recht hat er, der Sven K.
Kein Grund zu Jammern. Gut, man kann gerade sein Zunge nicht gegen einen Laternenpfahl drücken, aber welcher Berliner hätte eine so niedrige Ekelschwelle, daß er das täte. Mir ist warm. Denn ich befolge diszipliniert mein "Sonne-im Herzen"- Programm.

* Unterwäsche und Handtücher über den Handtuchwärmer im Bad gehängt. Jippie!
* Aus-nahms-weise heiße Schokolade zum Frühstück gegönnt. Und Mango!
* "The Rythm" der australischen Sonnenkinder "The Cat Empire" im mp3 Player aufgedreht.
* 3 Minuten am Spreeufer gestanden und dem schönen Eisbrecher bei der knirschenden Arbeit zugeschaut.
* Tulpen fürs Büro gekauft
* In der Mittagspause auf´m L-See eislaufen gewesen. Und den kleenen Gören davongelaufen.
* Glühwein während der Arbeitszeit getrunken.
* Mit Flugbuchung nach Sardinien im März geliebäugelt (24.99€!). Verworfen. Verschoben
* Warme Gedanken gemacht.

Hach, is mir warm...

Leute gucken ist mein Liebstes. An der Supermarktkasse, im Restaurant, in der S-Bahn. Dann spinne ich mir die schönsten Biographien zusammen und bin zufrieden, obwohl ich die echte Geschichte nie erfahren werde.
Aber manchmal, da würde ich zu gern hinter die Kulisse blicken. Berufskrankheit. Besonders dann, wenn ich öde Paare beobachte. Wie sie da sitzen, sich ansehen oder auch nicht, ihre Körpersprache. Und frage mich, wie die wohl so leben. Vielmehr, wie die´s wohl so treiben. Ob überhaupt. Und würde zuuuu gern in die Betten gucken. Manchen Leuten traue ich Begierde einfach nicht zu. Wenn die Bankkauffrau im hellblauen „Esprit“-Kapuzenjäckchen ihren Männe im braven Banker-Look zur Käsetheke jagt und ich im Einkaufswagen Spaghetti Miracoli, alkoholfreies Bier und Sagrotan Waschmittel erblicke, dann spinne ich richtig los. Stelle mir die beiden unsinnlichen Kontrollfreaks enthemmt bei versauten Spielchen vor. Leidenschaft und Toastbrot.

Und wenn ich dann hinter ihnen in der Schlange stehe und den funkenfreien Dialogen -Monologen- lausche, dann merke ich, dass hier nur Meine Phantasie glühend ist. Matte Langeweile. Sackgasse. Dann würde ich gern paradox intervenieren. Dem Musterpärchen auf die Schulter tippen. Ha! Sie fragen, ob das das Leben ist, von dem sie immer geträumt haben. Ob sie sich nicht tot fühlen. Und sie daran erinnern, dass da draußen so vieles wartet. Leidenschaftliche Menschen, verlockende Körper, Abenteuer und Abgründe.

Der Gedanke reift. Nächste Woche nehme ich die Kamera und geh zu Reichelt. Die Doku-Soap, die die Welt noch braucht.

Titel: „Suffering proudly in your own private hell.“