Etwas läuft falsch.
Wenn ich morgens den langen Gang entlang schleiche, sind alle anderen Büros noch leer. Und wenn ich spät abends das Büro verlasse, bin immer ich es, die die Lichter löscht und die Tür abschließt. Trotzdem habe ich mir noch keinen Porsche verdient.

Und dann denke ich
„Bin ich undankbar? Rastlos? Ich bin genau dort, wo ich immer sein wollte. Ich beschäftige mich mit spannenden Themen, habe inhaltliche Freiheit, treffe inspirierte, kreative Menschen, komme rum, lache viel. Mein Job ist bezahlte Weiterbildung.“

Bisher hat mein Mantra immer geholfen, aber seine Wirkung hat nachgelassen.

Vielleicht hilft ein Urlaub, vielleicht hilft ein neues Projekt. Vielleicht muss es dieses Mal aber mehr sein. Ein anderer Job. Eine andere Stadt. Ein anderes Land gar. Ich habe ab morgen zehn Tage Zeit, das Ganze aus der Distanz zu betrachten.

Ach ja, die Kammer...*seufz* Seit dem 30. Juli war ich da nicht mehr drin und vermisst habe ich nichts. Den Staubsauger vielleicht. Vielleicht. Und die Pfeffermühle, die ich diesem scharfen Kerl versprochen hatte. Aber sonst? Nö. Die Türöffneraktion mit den "Freunden der Sperrtechnik" wurde aus Faulheit Zeitmangel immer wieder verschoben und kürzlich fand sich der Schlüssel wieder an.

Wie groß war die Überraschung als ich gestern die Tür öffnete. Ein orangefarbenes Porzellan-Sparschwein, fußballgroß, nicht mein. Meine Steuerpapiere! Ein Glas Sommertrüffel im Vorratsregal! Meine Kamera! Drei Flaschen Brunello! Mein Schmuckkasten! Meine Lieb-lings-tas-se! Zwei rote Stühle!

In einer Stunde hatte ich alle Kammerregale ausgeräumt, eine plötzliche Sortier-Attacke bekommen *dringendSchraubennachGrößesortierenmüssensofort* und in dem Zuge Schlafzimmer, Wohnzimmer und Esszimmer mit dem Kammerinhalt schneller verwüstet, als Mary Poppins "Supercalifragilisticexpialidocious" trällern kann. Überhaupt, ich bräuchte so eine Handtasche, wie Mary Poppins sie hat, ein Mal schnipsen und …aber nein. Als das Chaos komplett war, konnte ich das Spaßelement nicht mehr finden. „Gangs of New York“ und heiße Schokolade waren verlockender. Immerhin habe ich nebenbei mein Vogelhäuschen winterfertig geschraubt.

Wenn ich heute Abend die Wohnung betrete, lasse ich einfach das Licht aus. Tapse im Dunkeln einen Slalom um die Berge. Und dann verreise ich auch schon. Wenn ich wiederkomme ist fast Silvester und die nächste Party steht an. Und dann kommt der Krempel einfach zurück in die Kammer und ich verbummele den Schlüssel…

Halt! Das geht ja gar nicht mehr! Ein zauberhafter nicht mehr ganz so junger Mann hat mir einen Hühnergott geschenkt. Und den habe ich zum Schutzgeist der Kammer ernannt und an den Schlüssel gehängt. Wie die Ölkanister an den Tankstellen-Toilettenschlüssel…

Faustgroße Schneeflocken vorm Wintergarten, frierende Enten und Pfefferminztee in der Tasse. November.

Um meinen Hals schlingt sich der dicke rote Lieblings-Schal wie eine Boa Constrictor. Wie soll ich so das schnurlose Telefon zwischen Hals und Ohr klemmen? Herbstprobleme. Kollege Marek, der polnische McGyver, weiß eine Lösung und rückt mit einer Rolle Gaffa Tape an, um mir das Telefon an den Kopf zu kleben. Im Nebenraum dreht ein doofer Sender eine Reportage, die die Welt nicht braucht und ich spiele Tonstörer, indem ich "The District Sleeps Alone Tonight" von "The Postal Service" aufdrehe. Ha! Freitag!

Lieber würde ich dem Mann auf dem Foto sein Plätzchen klauen und mich mit dem Schwein sonnen. Oder auf dem Sofa liegen. So aber werde ich höchstens heute Abend allein unter der Ferkel-Lampe liegen und auf Wärme hoffen.

Heute beim Aufwachen kamen die schrägen Traumfetzen der Nacht hoch. Erinnerungen an fliegenden DVD-Player, französische Steilküste und verheulte Nächte. Ein Hauch von Panik mit dem Geruch längst vergangener Gefühle.

Huch, 44 entgangene Anrufe über Nacht? Der Herr scheint ein dringendes Mitteilungsbedürfnis zu haben. Ich ahne, dass sein Anliegen nicht mein Anliegen ist und werde nicht zurückrufen. Kann so wichtig nicht sein.

...wenn "Tetsujin 28" viel süßer ist?